Bischof Fürst beruft Kommission mit sieben Mitgliedern – Auftrag: Form und Ausmaß sexuellen Missbrauchs aufarbeiten
Rottenburg/Stuttgart. Die Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs durch kirchliche Beschäftigte in der Diözese Rottenburg-Stuttgart hat sich konstituiert. Kurz vor Weihnachten sind die sieben Mitglieder der von Bischof Dr. Gebhard Fürst berufenen Kommission zu ihrer ersten Sitzung zusammengekommen. Dem Gremium gehören zwei Frauen und fünf Männer an (siehe Namensliste unter www.drs.de).
Gremium arbeitet unabhängig – Regierung schlägt drei Experten vor
Bei ihrer konstituierenden Sitzung diskutierten die Mitglieder das Statut der Kommission und passten es ihren Vorstellungen gemäß an. „Wir machen damit unser Selbstverständnis als unabhängig arbeitendes Gremium von Anfang an deutlich“, erklärt Professor Dr. Jörg Eisele, Professor für Strafrecht an der Universität Tübingen und einer der beiden bereits gewählten Vorsitzenden – auch wenn das Statut noch von Bischof Fürst zu prüfen und formal zu erlassen sei (das Statut wird in Kürze unter www.drs.de veröffentlicht). Der Co-Vorsitzende Thomas Halder ergänzt: „Unserem Auftrag, Form und Ausmaß sexuellen Missbrauchs durch kirchliche Beschäftigte in der Diözese Rottenburg-Diözese umfassend aufzuarbeiten, werden wir im Rahmen unserer Möglichkeiten als Ehrenamtliche gründlich und engagiert nachgehen“. Halder ist früherer Ministerialdirektor des Kultus- und des Sozialministeriums und wie ein weiteres Mitglied der Kommission, Professorin Dr. Renate Schepker, seit Kurzem im Ruhestand. Zusammen mit der Kinder- und Jugendpsychiaterin Schepker sind die beiden gleichberechtigen Vorsitzenden Eisele und Halder die drei von der Landesregierung vorgeschlagenen Experten aus den Bereichen Justiz, Verwaltung und Medizin. Renate Schepker wurde vor Kurzem auch in die Ende 2002 eingerichtete, unabhängige „Kommission sexueller Missbrauch“ der Diözese berufen und will auch dort ihre Expertise aus dem Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie einbringen.
Zwei Betroffene in der Aufarbeitungskommission
Auch die anderen Mitglieder der Kommission sehen Schepkers doppelten Einsatz als gute Möglichkeit, die vorgesehene Aufgabenteilung, aber auch die Kooperation beider Gremien sicherzustellen. „Wir schätzen die Unabhängigkeit von Frau Professor Schepker und sind froh, mit ihr eine ausgewiesene Trauma-Expertin in der Aufarbeitungskommission zu wissen“, bekräftigen Helena Schwarz und Sebastian Weh, die als direkt Betroffene von sexuellem Missbrauch durch katholische Kleriker in die Kommission berufen wurden. Beide sind an öffentlich wirkenden Einrichtungen in Stuttgart und Tübingen beschäftigt und treten in der Öffentlichkeit unter Pseudonym auf. Zudem arbeiten sie seit seiner Gründung im Herbst 2020 als Ehrenamtliche im Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Der „Gemeinsamen Erklärung“ der DBK gemäß müssten die beiden Betroffenenvertreter in der Aufarbeitungskommission der Diözese Rottenburg-Stuttgart eigentlich vom diözesanen Betroffenenbeirat vorgeschlagen werden; dieser befindet sich aber noch im Aufbau. „Wir werden Bischof Fürst bei der noch anstehenden Einrichtung des diözesanen Betroffenenbeirats konstruktiv unterstützen und den Prozess kritisch begleiten“, unterstreichen Schwarz und Weh.
Kirchenrechtler kümmern sich um Akten und notwendige Ressourcen
Zudem hat Bischof Fürst Friedolf Lappen und Professor Dr. Stefan Ihli in die Aufarbeitungskommission berufen. Die beiden Kirchenrechtler sind Diözesanbeschäftigte und sorgen dafür, dass die Kommission alle für ihre Arbeit benötigten Akten und Ressourcen zur Verfügung hat. „Das Statut weist auch uns als unabhängige und an keine Weisung gebundenen Mitglieder dieser Kommission aus. Wir betrachten uns der Aufklärung sexuellen Missbrauchs genauso verpflichtet und wissen, dass die Diözesanleitung das nicht nur respektieren wird, sondern uns dazu ausdrücklich beauftragt hat“, so die beiden Kirchenrechtler.
Aufarbeitungskommission informiert regelmäßig über Arbeit
Die Aufarbeitungskommission wird einmal jährlich wie auch anlassbezogen die Öffentlichkeit über ihre Arbeitsergebnisse informieren. Die Namen und Kurzprofile ihrer Mitglieder sind auf der Homepage der Diözese Rottenburg-Stuttgart unter www.drs.de veröffentlicht; das Statut erscheint unter www.drs.de in Kürze.
In Folge des Missbrauchsskandals hat die DBK mit dem „Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs“ (UBSKM) die „Gemeinsame Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland“ unterzeichnet. Damit haben die deutschen (Erz-)Bischöfe zugesichert, auf Ebene ihrer Diözesen Betroffenenbeiräte und Aufarbeitungskommissionen einzurichten.
Kommission sexueller Missbrauch (KsM) bereits seit 2002
Bereits vor 20 Jahren hat Bischof Fürst als erster in Deutschland eine eigenständig arbeitende Kommission sexueller Missbrauch (KsM) eingerichtet (Gründungserlass: 1. Oktober 2002). Diese ist eine interdisziplinäre Kommission, die mehrheitlich mit ehrenamtlichen Personen besetzt ist, die nicht im Dienstverhältnis zur Diözese stehen oder standen. Die Kommission nimmt seither Hinweise zu Missbrauchsfällen entgegen, geht diesen nach und spricht dem Bischof gegenüber eine Empfehlung aus, wie mit Betroffenen und Beschuldigten umgegangen werden soll. Mit Einverständnis der Betroffenen stellt sie auch Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft. Seit 2014 leitet Dr. Monika Stolz, die frühere Arbeits- und Sozialministerin Baden-Württembergs und Kinderschutzbeauftragte des Landes, die KsM.
Seit dem Jahr 2000 ist das Thema Missbrauch zudem in der Priesterausbildung der Diözese verankert. Im Jahr 2012 wurde darüber hinaus die Stabsstelle Prävention, Kinder- und Jugendschutz installiert.
Für den Zeitraum von 1947 bis 2021 sind in der Diözese Rottenburg-Stuttgart bisher 168 Beschuldigte (Kleriker und Laien) belegt.
Anerkennung des Leids
143 Anträge von Betroffenen auf Anerkennung des Leids wurden seit Beginn des Antragsverfahrens im Jahr 2011 gestellt, und insgesamt wurden 760.500 Euro an Anerkennungsleistungen ausbezahlt. Darüber hinaus übernimmt die Diözese die Kosten für eine Therapie. Die Anerkennungszahlungen und Therapiekosten werden in der Diözese Rottenburg-Stuttgart grundsätzlich nicht aus Kirchensteuergeldern finanziert, sondern aus dem Vermögen der Ortskirche.
Seit 2021 müssen Anträge auf Anerkennungsleistungen zentral zu der von der DBK eingerichteten Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) weitergeleitet werden und werden dort bearbeitet. Darunter sind mittlerweile fast 70 Wiederholungs- und Erstanträge allein aus der Diözese Rottenburg Stuttgart. Die UKA hat bislang über 25 Anträge entschieden; davon sind 23 Folgeanträge und zwei erstmalige Anträge. Die Gesamtsumme, die als Anerkennungsleistung in diesen 25 Fällen festgelegt worden ist, beträgt 270.000 Euro.
Professor Dr. Jörg Eisele ist Vorsitzender der Aufarbeitungskommission; an seiner Seite ist Thomas Halder CO-Vorsitzender.
Die Diözese Rottenburg-Stuttgart umfasst mit ihren 1020 Kirchengemeinden und knapp 1,8 Millionen Mitgliedern den württembergischen Landesteil Baden-Württembergs, und ist bundesweit die viertgrößte Diözese. Seit dem Jahr 2000 steht ihr Dr. Gebhard Fürst als Bischof vor. Unter ihrem Dach leisten 24.000 Haupt- und 170.000 Ehrenamtliche ihren Dienst für die Menschen und legen so Zeugnis ab vom lebendigen Gott. Auf dem Gebiet der Diözese stehen rund 890 Kindergärten in katholischer Trägerschaft und bieten rund 46.600 Kindern eine Betreuung; 98 katholische Schulen werden von 25.500 Schülern besucht, und in 980 karitativen Einrichtungen finden rund 495.000 Menschen eine Betreuung. Im Rahmen des weltkirchlichen Engagements gibt es Partnerschaften mit Diözesen in über 80 Ländern weltweit. Aktuelles sowie Hintergründe bietet die Homepage www.drs.de
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