Gebet für das Leben Ich gebe zu, dass von meinem Mathematikstudium nicht mehr viel in meinem Gedächtnis hängen geblieben ist. Mein Herz schlug auch damals schon mehr für die Theologie als für die Mathematik. Aber eines weiß ich noch: Da war ein Professor, der seine erste Vorlesung nicht mit einem mathematischen Satz und Beweis eröffnete, sondern mit einem Wunsch an uns Studenten. Und dieser Wunsch lautete: „Ich wünsche Ihnen den Mut, Dinge zu ändern, die Sie ändern können. Ich wünsche Ihnen die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die Sie nicht ändern können. Und ich wünsche Ihnen die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
Diesen Wunsch habe ich seitdem nie mehr vergessen, ja er hat mich fortan in meinem Leben begleitet. Erst später stieß ich darauf, dass dieser Wunsch eigentlich ein Gebetswunsch ist, den ein gewisser Reinhold Niebuhr – ein US-amerikanischer Theologe – formuliert hat und welcher nun auch im neuen Gotteslob zu finden ist (GL 9,2).
Also: „Gott gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann“. Mut, der verändert – ich spüre, vieles muss anders, besser werden in unserer Welt und in meinem Leben. Es kann nicht immer so weitergehen wie bisher. Manche Menschen wünsche ich mir anders als sie sind: freundlicher, toleranter, besonnener, verantwortungsbewusster. Aber letztlich weiß ich, dass ich sie nicht ändern kann. Ändern kann ich lediglich mich selbst und wie ich mich ihnen gegenüber verhalte. Wenn ich mich nicht ändere, ändert sich oft gar nichts. Von einem Verhaltenspsychologen hörte ich vor kurzem in einer Talkshow, dass er sich jeden Morgen auf einen Stuhl stelle und überlege: Was will ich konkret am heutigen Tag anders machen? Keine schlechte Idee! Vielleicht muss man sich dafür nicht unbedingt auf einen Stuhl stellen, aber sich bewusst am Morgen in die Gegenwart Gott zu stellen, das wäre gut. Und ihn um den Mut bitten, heute etwas ganz Konkretes besser zu machen. Denn Gott kann mein Herz verändern, erst dann verändert sich in mir was. Und nur veränderte Menschen ändern die Welt.
Aber Neues ängstigt mich freilich. Oft ist der alte Trott, selbst wenn er mich belastet, bequemer. Also doch lieber alles beim Alten bewenden lassen? Aber wer auf der Stelle tritt, kommt nicht weiter. So will ich mir täglich von Gott den Mut erbitten, zu ändern und zu bessern, was möglich ist.
Und weiter: „Gott gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann.“
Gelassenheit, die hinnimmt – die brauche ich, wenn ich nervös werde und mit dem Kopf durch die Wand möchte. Sie brauche ich aber auch, wenn mich manche Dinge immer wieder von neuem ärgern, immer wieder großen Raum in mir einnehmen, mich innerlich so umtreiben, dass ich nachts nicht mehr abschalten und schlafen kann. Mit Gleichgültigkeit, Bequemlichkeit und Resignation hat Gelassenheit aber nichts zu tun. Gelassenheit hat allerdings oft mit Geduld zu tun; mit dem Wissen, dass alles seine Zeit hat, weil nicht alles machbar ist bzw. nicht alles sofort machbar ist. Gelassenheit bedeutet aber auch eine klare Absage, mir mein Leben durch belastende Dinge und durch Schwierigkeiten zerstören zu lassen. Es ist bedeutet eine Abkehr vom ständigen Hadern und Jammern, warum manches in meinem Leben nicht anders gekommen ist. Gelassenheit bedeutet mich innerlich mit Unabänderlichem zu versöhnen, um dadurch wieder Kraft zu gewinnen, mein Leben zu gestalten und über all dem Negativen nicht das Positive, Schöne und Kostbare meines Lebens zu vergessen. Gelassenheit von Gott zu erbitten bedeutet auch, ihm so manches vertrauensvoll in seine Hände zu legen, weil ich mich darauf verlasse, dass er auch aus dem noch etwas Gutes machen kann, wo ich nichts Gutes erkenne. Gelassenheit bedeutet die Chance, neu zu spüren: Es ist noch nicht aller Tage Abend.
Und schließlich: „Gott gib mir die Weisheit, das eine von anderen zu unterscheiden.“ Weisheit, die unterscheidet – sie erbitte ich mir, um richtig zu entscheiden. Ohne sie verfalle ich in die Dummheit der falschen Alternativen, unfähig zu fairen Kompromissen. Um zu erkennen, was in einer Sache zu ändern ist und was nicht, dazu braucht es Weisheit, die mehr ist als planende und nüchtern kalkulierende Vernunft. Weisheit bezieht vielmehr auch mein Herz und mein Bauchgefühl mit ein. Weisheit ist ein Geschenk Gottes, das mir leise und behutsam zufällt, wenn ich mir still und betend der Weisheit Gottes öffne.
Mut, der verändert; Gelassenheit, die hinnimmt und Weisheit, die unterscheidet – wer Gott darum bittet, bittet ihn im Grunde genommen um alles, was hilft, das eigene Leben in einer guten Weise zu bestehen. Es ist darum wahrlich ein Gebet, das uns tagtäglich begleiten kann.
Und darum ist nun auch nichts anderes mein Wunsch an Sie in diesem noch jungen Jahr: Gott gebe Ihnen den Mut, Dinge zu ändern, die Sie ändern können. Er gebe Ihnen die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die Sie nicht ändern können. Und er gebe Ihnen die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Ihr Pfarrer Thomas Müller