Liebe Schwestern und Brüder!
„Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ“ – Die-
ses Wort ruft der Heilige Augustinus den Gläubigen sei-
ner Diözese zu. Als ich dieses Wort zum erstenmal gele-
sen habe, war ich wie elektrisiert. Augustinus bekennt:
Ich bin Christ und ich bin Christ mit euch, und als Bischof
bin ich für euch Bischof. Augustinus versteht sich im
Bischof-Sein mit den Gläubigen im Christ-Sein untrenn-
bar verbunden.
„Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ“ – Mit
den Gläubigen Christsein leben und für sie und mit ihnen
mein Bischofsamt ausüben – das wollte ich in den letzten
23 Jahren verwirklichen; mitten im Leben der Christin-
nen und Christen in dieser unserer so turbulent geworde-
nen Zeit: mit all den Angst einjagenden Entwicklungen.
Klimakatastrophe, Coronapandemie, barbarische Kriege,
atemraubende Innovationen in der digitalen Welt, mit
Spaltungen und unser Zusammenleben zerstörenden Lü-
gen. – Wer wollte da nicht zustimmen, dass wir in einer
zerrissenen Zeit leben, die Heilung braucht.
Mein Wahlspruch „Um unseres Heiles willen“ steht da-
für, in dieser zerrissenen, unheilen, heillosen Zeit, das
Heil von Gott, Heilung für uns Menschen zu verkünden
und miteinander zu leben und erlebbar werden zu lassen.
Im Advent warten wir sehnsuchtsvoll darauf, dass dieses
Heil von Gott zu uns kommt und Heil wirkt in unseren
persönlichen Nöten und Bedrängnissen.
Liebe Schwestern und Brüder, in den Taten und Ereignis-
sen des Missbrauchsskandals, der mich in meiner Bi-
schofszeit von Anfang an gefordert hat, wurde diese frohe
Botschaft vom Heil schenkenden Gott aufs schlimmste
verraten.
Schwerstes Unheil haben Täter in unserer Kirche über die
Opfer gebracht! Mit dem Propheten Jesaja in der ersten
Lesung heute können wir mit seinen bildhaften, Worten
klagen: „Wie ein Unreiner sind wir alle geworden, unsere
ganze Gerechtigkeit ist wie ein beflecktes Kleid. Wie
Laub sind wir alle verwelkt, unsere Schuld trägt uns fort
wie der Wind.“ (Jes 63,5)
Papst Benedikt XVI. schrieb nach Bekanntwerden des
Missbrauchs in einem Brief: „Für die Bewältigung der
gegenwärtigen Krise sind Maßnahmen, die gerecht mit
(…) Unrecht umgehen, unerlässlich, aber allein für sich
sind sie nicht ausreichend: Wir brauchen eine neue Vi-
sion, um zukünftige Generationen zu inspirieren, das
Geschenk unseres gemeinsamen Glaubens zu schätzen.“
Diese Worte hören sich an als seien sie für uns heute ge-
schrieben.
Wegweisende Worte für die neue Vision einer sich erneu-
ernden Kirche können wir schon im Zweiten Vatikani-
schen Konzil über die Grundausrichtung der Seelsorge
lesen: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Men-
schen von heute, besonders der Armen und Bedrängten
aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und
Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft
Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall
fände.“ Was bedeutet das für uns heute?
In einer solch turbulenten Zeit wie wir sie erleben, be-
kommt das Wort eines großen Theologen der jungen Kir-
che eine aktuelle Bedeutung. Es lautet: „Gott hat die Kir-
chen wie Häfen im Meer angelegt, damit ihr euch aus dem
Wirbel irdischer Sorgen dahin retten und Ruhe finden
könnt.“
Liebe Schwestern und Brüder! „Kirchen wie Häfen im
Meer“, das sind lebendige, einladende, attraktive und hel-
fende Kirchengemeinden und viele andere Orte des Glau-
bens und Kirche-Seins in stürmischer Zeit. Orte, in denen
Trauer und Angst der Menschen, besonders der Armen
und Bedrängten aller Art in der Kirche als Gemeinschaft
der Glaubenden angenommen werden. Alle Erneuerungs-
prozesse sollen zu einer Kirche führen, die so lebendig
ist, dass sie für heimatlos gewordene Menschen ein Zu-
hause anbietet, dass Menschen eine bewohnbare Kir-
che – eine rettende Kirche erleben.
Meine Vision war und ist deshalb eine Kirche, in deren
Gemeinschaft die Sinnsuchenden Sinn und Erfüllung fin-
den, die Verängstigten und Verunsicherten wieder Mut
und Hoffnung schöpfen. Ziel geistlicher Erneuerungen
muss es sein, Gemeinden und viele andere Orte kirchli-
chen Lebens als geistlich lebendige Räume zu stärken, in
denen das heilsame Evangelium Jesu Christi wirklich er-
lebbar wird: dass Menschen „dem Wirbel irdischer Sor-
gen“ entkommen, sich in der Gemeinschaft der Mitglau-
benden angenommen wissen, dass sie zur Ruhe kommen
können. Dass sie neue Kraft schöpfen können, um dann
aus dem Ruhen in Gott selbst Menschen heilsam zu be-
gegnen.
Meine Vision war und ist eine in Liebe Menschen die-
nende Kirche, die zu den Menschen geht und ihnen bei-
steht.
Meine Vision war und ist eine Kirche, die heilend wirkt,
wo Menschen verletzt und gedemütigt werden oder miss-
braucht worden sind.
Meine Vision war und ist eine zukünftige Kirche, die
geistlich erneuert wirkt in unseren Kirchengemeinden
und christlichen Einrichtungen und kirchlichen Aktivitä-
ten. Dass Kirche als Gottes Volk in den Verlorenheiten,
denen heutzutage viele ausgeliefert sind, immer mehr
zum Raum von Errettung und Erlösung wird. Ein Raum
der Hoffnung und Zuversicht.
Liebe Schwestern und Brüder, wir alle, die getauft sind
auf den Geist Jesu Christi, werden hierzu gebraucht als
Werkzeuge des Gottes-Geistes zum Heil der Menschen in
diesen schweren Zeiten zu dienen.
Liebe Schwestern und Brüder! Mit großer Dankbarkeit
für all das Gute, was ich durch Sie und mit Ihnen erfahren
durfte, verabschiede ich mich. „Für euch war ich Bischof,
mit euch bin ich weiter Christ“ – behüte Sie Gott