Predigt zum Abschied von Bischof Dr. Gebhard Fürst am 2. Dezember 23 in St. Martin, Rottenburg

Liebe Schwestern und Brüder!

„Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ“ – Die-

ses Wort ruft der Heilige Augustinus den Gläubigen sei-

ner Diözese zu. Als ich dieses Wort zum erstenmal gele-

sen habe, war ich wie elektrisiert. Augustinus bekennt:

Ich bin Christ und ich bin Christ mit euch, und als Bischof

bin ich für euch Bischof. Augustinus versteht sich im

Bischof-Sein mit den Gläubigen im Christ-Sein untrenn-

bar verbunden.

„Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ“ – Mit

den Gläubigen Christsein leben und für sie und mit ihnen

mein Bischofsamt ausüben – das wollte ich in den letzten

23 Jahren verwirklichen; mitten im Leben der Christin-

nen und Christen in dieser unserer so turbulent geworde-

nen Zeit: mit all den Angst einjagenden Entwicklungen.

Klimakatastrophe, Coronapandemie, barbarische Kriege,

atemraubende Innovationen in der digitalen Welt, mit

Spaltungen und unser Zusammenleben zerstörenden Lü-

gen. – Wer wollte da nicht zustimmen, dass wir in einer

zerrissenen Zeit leben, die Heilung braucht.

Mein Wahlspruch „Um unseres Heiles willen“ steht da-

für, in dieser zerrissenen, unheilen, heillosen Zeit, das

Heil von Gott, Heilung für uns Menschen zu verkünden

und miteinander zu leben und erlebbar werden zu lassen.

Im Advent warten wir sehnsuchtsvoll darauf, dass dieses

Heil von Gott zu uns kommt und Heil wirkt in unseren

persönlichen Nöten und Bedrängnissen.

Liebe Schwestern und Brüder, in den Taten und Ereignis-

sen des Missbrauchsskandals, der mich in meiner Bi-

schofszeit von Anfang an gefordert hat, wurde diese frohe

Botschaft vom Heil schenkenden Gott aufs schlimmste

verraten.

Schwerstes Unheil haben Täter in unserer Kirche über die

Opfer gebracht! Mit dem Propheten Jesaja in der ersten

Lesung heute können wir mit seinen bildhaften, Worten

klagen: „Wie ein Unreiner sind wir alle geworden, unsere

ganze Gerechtigkeit ist wie ein beflecktes Kleid. Wie

Laub sind wir alle verwelkt, unsere Schuld trägt uns fort

wie der Wind.“ (Jes 63,5)

Papst Benedikt XVI. schrieb nach Bekanntwerden des

Missbrauchs in einem Brief: „Für die Bewältigung der

gegenwärtigen Krise sind Maßnahmen, die gerecht mit

(…) Unrecht umgehen, unerlässlich, aber allein für sich

sind sie nicht ausreichend: Wir brauchen eine neue Vi-

sion, um zukünftige Generationen zu inspirieren, das

Geschenk unseres gemeinsamen Glaubens zu schätzen.“

Diese Worte hören sich an als seien sie für uns heute ge-

schrieben.

Wegweisende Worte für die neue Vision einer sich erneu-

ernden Kirche können wir schon im Zweiten Vatikani-

schen Konzil über die Grundausrichtung der Seelsorge

lesen: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Men-

schen von heute, besonders der Armen und Bedrängten

aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und

Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft

Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall

fände.“ Was bedeutet das für uns heute?

In einer solch turbulenten Zeit wie wir sie erleben, be-

kommt das Wort eines großen Theologen der jungen Kir-

che eine aktuelle Bedeutung. Es lautet: „Gott hat die Kir-

chen wie Häfen im Meer angelegt, damit ihr euch aus dem

Wirbel irdischer Sorgen dahin retten und Ruhe finden

könnt.“

Liebe Schwestern und Brüder! „Kirchen wie Häfen im

Meer“, das sind lebendige, einladende, attraktive und hel-

fende Kirchengemeinden und viele andere Orte des Glau-

bens und Kirche-Seins in stürmischer Zeit. Orte, in denen

Trauer und Angst der Menschen, besonders der Armen

und Bedrängten aller Art in der Kirche als Gemeinschaft

der Glaubenden angenommen werden. Alle Erneuerungs-

prozesse sollen zu einer Kirche führen, die so lebendig

ist, dass sie für heimatlos gewordene Menschen ein Zu-

hause anbietet, dass Menschen eine bewohnbare Kir-

che – eine rettende Kirche erleben.

Meine Vision war und ist deshalb eine Kirche, in deren

Gemeinschaft die Sinnsuchenden Sinn und Erfüllung fin-

den, die Verängstigten und Verunsicherten wieder Mut

und Hoffnung schöpfen. Ziel geistlicher Erneuerungen

muss es sein, Gemeinden und viele andere Orte kirchli-

chen Lebens als geistlich lebendige Räume zu stärken, in

denen das heilsame Evangelium Jesu Christi wirklich er-

lebbar wird: dass Menschen „dem Wirbel irdischer Sor-

gen“ entkommen, sich in der Gemeinschaft der Mitglau-

benden angenommen wissen, dass sie zur Ruhe kommen

können. Dass sie neue Kraft schöpfen können, um dann

aus dem Ruhen in Gott selbst Menschen heilsam zu be-

gegnen.

Meine Vision war und ist eine in Liebe Menschen die-

nende Kirche, die zu den Menschen geht und ihnen bei-

steht.

Meine Vision war und ist eine Kirche, die heilend wirkt,

wo Menschen verletzt und gedemütigt werden oder miss-

braucht worden sind.

Meine Vision war und ist eine zukünftige Kirche, die

geistlich erneuert wirkt in unseren Kirchengemeinden

und christlichen Einrichtungen und kirchlichen Aktivitä-

ten. Dass Kirche als Gottes Volk in den Verlorenheiten,

denen heutzutage viele ausgeliefert sind, immer mehr

zum Raum von Errettung und Erlösung wird. Ein Raum

der Hoffnung und Zuversicht.

Liebe Schwestern und Brüder, wir alle, die getauft sind

auf den Geist Jesu Christi, werden hierzu gebraucht als

Werkzeuge des Gottes-Geistes zum Heil der Menschen in

diesen schweren Zeiten zu dienen.

Liebe Schwestern und Brüder! Mit großer Dankbarkeit

für all das Gute, was ich durch Sie und mit Ihnen erfahren

durfte, verabschiede ich mich. „Für euch war ich Bischof,

mit euch bin ich weiter Christ“ – behüte Sie Gott

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